Einflussgebiete in Europa nach 1805

1925 – Schule in der Weimarer Republik

Das Schulwesen war in der Weimarer Republik von Anfang an Gegenstand politischer und ideologischer Kontroversen, ging es doch bei der Erziehung der heranwachsenden Generation gleichzeitig um deren Einstellung gegenüber der jungen Republik und dem demokratischen System. Auf welchen Wegen die Schule zur Demokratisierung beitragen könnte, wurde jedoch auch von den die Republik tragenden politischen Parteien – der Sozialdemokratie, den Linksliberalen und dem katholischen Zentrum – unterschiedlich gesehen.
In Grundsatzfragen wie der Abschaffung der Konfessionsschulen oder der Übertragung der bildungspolitischen Kompetenzen von den Ländern auf das Reich zeigte sich, wie unvereinbar die Positionen waren. Die Schulartikel der Weimarer Reichsverfassung von 1919 stellten einen Kompromiss dar, der diese Konflikte jedoch nur überdeckte und die widerstreitenden Interessen zu keinem wirklichen Ausgleich brachte.
Das Reichsgrundschulgesetz vom 28.4.1920 erklärte die vier unteren Klassen der Volksschule zur Pflichtschule für alle Kinder vom sechsten bis zum zehnten Lebensjahr. Zu dem in der Verfassung vorgesehenen Aufbau eines einheitlichen Schulwesens, Sinnbild für demokratische Erziehung und gleichberechtigten Zugang aller Schüler zur Bildung, war damit zumindest ein Anfang gemacht. Die Vorschulen, die 1921 noch von etwa der Hälfte der künftigen Gymnasialschüler besucht wurden, verloren ihre Rechtsgrundlage.
Weitergehende Ansätze zur Neugestaltung des Schulwesens, wie sie auf der Reichsschulkonferenz im Juni 1920 unter Vertretern von Regierungen, Gemeinden, Berufsverbänden, Jugendorganisationen und Wissenschaft debattiert wurden, konnten auf Reichsebene nicht verwirklicht werden. In den Ländern wurden in der Folgezeit, je nach politischer Ausrichtung, unterschiedliche Regelungen getroffen, wobei ein aus Vertretern von Reich, Ländern und Gemeinden zusammengesetzter Ausschuss für die Einhaltung eines Mindestmaßes an Gemeinsamkeit Sorge trug.
Im Volksschulbereich war unmittelbar nach dem politischen Umsturz vom November 1918 die geistliche Schulaufsicht abgeschafft worden. Die konfessionelle Gliederung des Volksschulwesens indes blieb in den meisten Ländern erhalten. Die Ausbildung der Volksschullehrer wurde aufgewertet; das Abitur bildete nun die Voraussetzung für den Eintritt in die Berufsausbildung, die in Preußen an Fachhochschulen (Pädagogische Akademien), in manchen Ländern sogar an die Universitäten verlagert wurde.
Der Abstand zwischen der Volksschule und der höheren Schule sollte durch die Einrichtung so genannter Aufbauschulen verringert werden, die Schülern auch noch in höherem Alter den Zugang zu weiterführender Bildung eröffneten. Auf die soziale Öffnung des höheren Schulwesens zielte auch die Einführung der Deutschen Oberschule, eines vierten Typus von höherer Schule, der sich in seinem Lehrplan auf das nationale Bildungsgut konzentrierte und so zugleich der Stärkung des nationalen Gemeinschaftsgefühls dienen sollte. Zahlenmäßig gewannen diese Einrichtungen allerdings keine größere Bedeutung. Dennoch nahm die soziale Durchlässigkeit des Schulsystems in der Weimarer Zeit für Jungen und Mädchen zu. Während im Kaiserreich vor allem die Mittelschicht die höheren Schulen als Aufstiegsmöglichkeit hatte nutzen können, öffneten sich diese nun auch zunehmend Kindern aus Unterschichtsfamilien. 1921 kamen nur neun Prozent der Schüler an höheren Schulen aus der Unterschicht, 1931 war ihr Anteil immerhin auf 13 Prozent gestiegen. Insgesamt erfassten diese Versuche, Demokratisierung über einen verbesserten Zugang zu den Bildungseinrichtungen und die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs durch deren Besuch durchzusetzen, allerdings nur einen geringen Teil der Heranwachsenden. Etwa ein bis zwei Prozent der Mädchen und etwa fünf Prozent der Jungen eines Jahrgangs besuchten in der Weimarer Zeit die Oberstufe der höheren Schulen.
Neben der Ausweitung der Bildungschancen sollten auch die Bildungsinhalte zur Förderung eines demokratischen Bewusstseins beitragen. Schon die Weimarer Verfassung hatte den Schulen zur Pflicht gemacht, für die Verbreitung einer „staatsbürgerlichen Gesinnung“ zu sorgen. Die ebenfalls von der Verfassung vorgeschriebene Einführung eines entsprechenden Lehrfaches „Staatsbürgerkunde“ unterblieb jedoch. Stattdessen wurde die Staatsbürgerkunde zum „Unterrichtsprinzip“ erklärt, an dessen Verwirklichung sich verschiedene Fächer – von der Heimatkunde in der Grundschule bis zu Deutsch, Geschichte und Geographie in den weiterführenden Schulen – beteiligen sollten. Gerade die Heimatkunde diente allerdings, folgt man den Lehrplanrichtlinien, eher dazu, der Verunsicherung durch zeittypische Modernisierungserscheinungen entgegenzutreten und feste Bindungen an Heimat, Tradition und Volk zu vermitteln. Und auch die anderen genannten Fächer trugen wenig dazu bei, eine republikanische Staatsgesinnung zu fördern und den völkischen und antidemokratischen Tendenzen, die sich am Ende der 1920er Jahre verstärkten, entgegen zu arbeiten. Der Unterricht blieb besonders an den Gymnasien am traditionellen Kanon orientiert und hielt Distanz zum Geschehen außerhalb der Schulmauern. Wo stärker auf die aktuelle politische Situation Bezug genommen wurde, wie in den Oberrealschulen, waren nationale und revisionistische Züge unübersehbar, etwa wenn es um die Lage Deutschlands nach dem Versailler Vertrag ging oder um die Festigung der kulturellen Verbindung zu den nach dem Ersten Weltkrieg abgetretenen oder besetzten Gebieten im Osten und Westen.
Insgesamt vermochte es die Weimarer Republik nicht, die Schüler über die strukturelle und inhaltliche Öffnung des Schulwesens gegen antidemokratische Tendenzen zu immunisieren. Vielmehr leistete der Unterricht in Heimatkunde, Deutsch und Geschichte im Zuge der politischen Radikalisierung deutschnationalen Einstellungen Vorschub. Die Schüler wurden überwiegend nicht zu Republik und demokratischen Werten erzogen, sondern zu Staat und nationaler Gesinnung.

Susanne Grindel
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