Die neue Unübersichtlichkeit in Europa nach 1989

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[S. 607] Nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa, der Auflösung der DDR und dem Vollzug der deutschen Einheit 1990 waren mit dem Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 der Kalte Krieg und der Ost-West-Konflikt beendet.
Mit dem Ende der bipolaren Welt ist eine neue Unübersichtlichkeit entstanden, die in Europa von gegensätzlichen Tendenzen geprägt wird. In der östlichen Hälfte Europas sind die alten Nationalstaaten wieder entstanden; manche wurden friedlich gebildet, wie zum Beispiel die Slowakei, Tschechien, Weißrussland, die Ukraine und Moldawien, andere, wie im ehemaligen Jugoslawien, durch Krieg. In anderen Regionen, wie zum Beispiel im Kaukasus, haben sich ethnische und religiöse Konflikte zu schwer entwirrbaren Problemknäueln verknüpft. Westeuropa wiederum ist unter dem Schutz der NATO und als marktwirtschaftlich-demokratisches Modell in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem sozialistisch-autoritären Osten wirtschaftlich und politisch enger zusammengewachsen. Verstärkt werden staatliche Souveränitätsrechte freiwillig an supranationale Einrichtungen abgegeben, um den neuen Herausforderungen der Globalisierung durch eine starke europäische Gemeinschaft gewachsen zu sein. Die Aufgaben der NATO, der WEU und der OSZE müssen neu überdacht werden. Das Gleiche gilt für die Frage, welche Staaten in naher Zukunft in die EU oder in die NATO aufgenommen werden sollen. Vor allem die Aufnahme ehemaliger Staaten des Warschauer Paktes in die NATO berührt die russischen Sicherheitsinteressen; die Aufnahme von Russland selbst wird kontrovers diskutiert.