"Die Eroberung Galliens durch Cäsar"

Volltext

[S. 136] § 77 Die Eroberung Galliens durch Cäsar ist eins der wichtigsten Ereignisse der europäischen Geschichte. Ihre Bedeutung besteht zunächst darin, dass er sich hier die Mittel zur Umgestaltung der Republik in eine Monarchie verschaffte, deren Notwendigkeit er erkannt hatte, nämlich ein kriegstüchtiges anhängliches Heer, ebensolche Offiziere und fremde Bundestruppen, z.B. germanische Reiter. Für die Römer war es von Bedeutung, dass ihr Nationalstolz befriedigt wurde, indem Cäsar als Rächer früher (z.B. an der Allia) erlittenen Ungemachs auftrat, und dass ihre Kenntnisse in Länder- und Völkerkunde wesentlich bereichert wurden. Die Gallier wurde von der drückenden Herrschaft der Druiden (Priester mit richterlichen Befugnissen) und Ritter befreit, in deren Schuldknechtschaft sich ein großer Teil des Volkes befand. Erst von den Römern lernten sie es, die Fruchtbarkeit ihres Bodens auszunützen und nach Ausrodung ihrer Urwälder und Trockenlegung ihrer Sümpfe auch edlere Nutzpflanzen, z.B. Wein, anzubauen, sowie Gewerbe zu treiben. Ihre geistige Kultur, deren niederer Stand durch ihre Menschenopfer und die Missachtung der Frau gekennzeichnet wird, wurde dadurch gehoben, dass sie durch die zahlreichen römischen Ansiedler zu griechisch-römischer Bildung erzogen wurden. Das Gebiet der romanischen Welt in Europa wurde ihrem damaligen Bestande gegenüber um mehr als ein Drittel vermehrt und auf denjenigen Umfang gebracht, den sie im wesentlichen noch heute behauptet. Die Gegensätze zwischen Romanen und Germanen, die die spätere Geschichte Europas erfüllen, haben von da ihren Anfang genommen. Zugleich wurde zum erstenmal der Schauplatz der Geschichte von dem Küstengebiete des Mittelländischen Meeres nach dem nördlicheren Europa verlegt. Der Schwerpunkt der Geschichte begann sich überhaupt nach dem nördlichen Europa zu verschieben. Insofern ist die Eroberung Galliens auch für die Germanen von Bedeutung gewesen, als ihr Andrang auf Jahrhunderte hinaus zurückgedämmt, zugleich aber auch eine Brücke geschaffen wurde, auf der die völlig ausgereifte griechisch-römische Kultur auch den Völkern Nordeuropas zugeführt werden konnte.