"Die Ergebnisse der Kreuzzüge"

Texte intégral

[S. 91] § 85 Die Ergebnisse der Kreuzzüge.
Das Ende der Kreuzzüge wurde durch das allmähliche Erlöschen der schwärmerisch-religiösen, asketischen Stimmung herbei-
geführt, der sie entsprungen waren. Sie hatten ungeheure Verluste an Menschen und Gut gekostet, ohne dass die christlichen Erobe-
rungskolonien im Orient Bestand gehabt hätten. Die Gründe für den Misserfolg lagen zunächst in der Uneinigkeit und schlechten politischen Leitung der Kreuzfahrerstaaten; ferner darin, dass die abendländische Einwanderung zu gering war, um Syrien in europäischer Weise zu kultivieren, und dass sie zum größten Teil aus Kriegern und Kaufleuten, nicht aus Bauern bestand; endlich auch darin, dass in diesem Militärstaat, wo aller Besitz und Erwerb unsicher war und auf der Spitze des Schwertes stand, ein Hasten nach schnellem Gewinn und Lebensgenuß entstand, das alle Sittlichkeit untergrub.
Indessen haben die Kreuzzüge auf die Kultur des Abendlandes den tiefgehendsten Einfluß ausgeübt. Der Stand zunächst, welcher der vornehmste Träger dieser Bewegung war, der Ritterstand, verdankte ihnen die religiös-schwärmerische Färbung seines Standesideals und seinen Zusammenschluß zu einer das ganze christliche Europa umfassenden Genossenschaft. Für die Völker des Abendlandes erwuchs sodann aus den Kreuzzügen und den durch sie herbeigeführten Berührungen mit fremden Völkern und Volkssitten eine Vermehrung der technischen Kenntnisse und des gelehrten Wissens, die im höchsten Maße anregend wirken musste. Den Aristoteles z.B., von dem die ganze mittelalterliche Philosophie, die Scholastik, abhängt, lernte das Abendland aus arabischen Bearbeitungen kennen. Der Spitzbogen, auf dessen konstruktiver Verwendung die Gotik beruht, ist zuerst in der arabischen Architektur, wenn auch nur als Ornament, verwandt worden.