Cuius regio, eius religio: Das Mosaik der Religionen in Europa

1955 – Das französische Bildungssystem in der IV. Republik

Die Vorstellungen der Volksfrontregierung und der Résistance über die Reform der Schulbildung wurden 1944 von der provisorischen Regierung des „freien Frankreich“ aufgegriffen, die in Algier einen ersten Entwurf für die Reform des französischen Bildungswesens (plan d’Alger) erarbeiten ließ. Auf dieser Grundlage berief die Regierung im gleichen Jahr eine Kommission, die zunächst unter der Leitung des Physikers Paul Langevin stand und nach dessen Tod von dem Psychologen Henri Wallon koordiniert wurde. Diese Kommission legte 1947 ein umfassendes Projekt der Reform des französischen Bildungswesens vor, das die Verlängerung der Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr vorsah. Die Reformer schlugen die Einführung einer Einheitsschule (école unique) für alle Schülerinnen und Schüler im Alter von 6 bis 18 Jahren vor und räumten der historischen und staatsbürgerlichen Bildung auf allen Stufen der schulischen Entwicklung ein besonderes Gewicht ein. Auf die Phase der Elementarbildung sollte eine Orientierungsstufe mit einem gemeinsamen Kernunterricht und einem sich ausdifferenzierenden System von Wahlfächern für die Altersstufen 11 bis 15 folgen, die die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg vorbereiten sollte. Die dritte Phase der Ausbildung eröffnete den Schülerinnen und Schülern dann die Wahl, entweder eine Lehre zu beginnen, eine stärker theoretisch orientierte weiterführende Berufsausbildung zu absolvieren oder eine akademische Ausbildung zu wählen. Gleichzeitig sollte die Durchsetzung einer einheitlichen schulischen Bildung von einer Reform der Lehrerausbildung begleitet werden, die für die Lehrerinnen und Lehrer aller Stufen nach dem Abitur beginnen und aus einer kombinierten praktischen und theoretischen Ausbildung am Lehrerseminar (école normale) und an der Universität bestehen sollte.
Die Verwirklichung des von der Langevin-Wallon-Kommission erarbeiteten Reformprojekts scheiterte allerdings an der politischen Polarisierung der IV. Republik, an der die anfängliche Einheit der Widerstandsbewegung zerbrochen war. Es sollte deshalb der Bildungspolitik der V. Republik vorbehalten bleiben, die strukturellen Modernisierungspläne der Langevin-Wallon-Kommission in die bildungspolitische Praxis umzusetzen.

Steffen Sammler


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