Die Welt von 1848 und 1948

Volltext

Teil I: „Der kapitalistische Aufbau Europas und die Bildung der kontinentalen Kaiserreiche“

Erstes Kapitel
Die Welt nach 1848
I. Wir vergleichen die Welt von 1848 und von 1948.

1. Zwei Karten
Die heutige Welt wird von drei Großmächten dominiert, deren Oberhäupter, allgemein „die Großen Drei“ genannt, seit 1943 regelmäßig zusammengekommen sind, um den Sieg zu organisieren und den Frieden vorzubereiten. Im Jahre 1948 erscheinen diese Mächte in zwei Blöcke aufgeteilt: Im Westen, die atlantischen Länder, mit den Vereinigten Staaten, England und den Dominions; im Osten, der Block der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die das europäische und asiatische Russland einschließt. Zwischen diesen beiden Blöcken ist Europa aufgesplittert in eine Vielzahl von Nationen, die sich über ihr Wirtschaftsleben und ihren politischen Status ungewiss sind.
Gehen wir nun zurück in das Jahr 1848, und entwerfen eine Karte der Länder, die zu jener Zeit im Laufe der revolutionären Ereignisse weltweite Aufmerksamkeit auf sich zogen. Wir sehen, dass sie Kontinentaleuropa vom Meer im Westen, bis zur russischen Grenze einnehmen. Wir können zudem beobachten, dass England im Jahre 1848 von den revolutionären Ereignissen nicht erschüttert ist, und dass Spanien, damals wie heute, eine marginale Rolle am Rande Kontinentaleuropas spielt.
Ist es nicht erstaunlich festzustellen, dass die Karte der im Jahre 1848 erschütterten Länder wie das Negativ zur Karte der Großen Drei im Jahre 1948 erscheint?
All diese Beobachtungen müssen unserem Geist beim Lesen dieses Werkes gegenwärtig bleiben. Sie lassen den tief greifenden Wandel der Weltstruktur innerhalb eines Jahrhunderts erkennen, indem sie uns sozusagen von einem Kartentyp zu seinem Gegensatz führen.

2. Ein Jahrhundert Geschichte
Der Zeitraum von 1848 bis 1948 scheint sich in zwei große Akte einteilen zu lassen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zeigt sich Europa als Meister seines Schicksals und als Schiedsrichter der Welt. Im 20. Jahrhundert hängt das Schicksal Europas zunehmend vom Rest der Welt ab.
Nach dem Scheitern von sozialistischen Revolutionen streiten sich zwei Länder um die Vorherrschaft. Frankreich, das unter Napoleon I. Europa erobert hatte, gelingt es für einige Zeit seine Vorrangstellung wiederzuerlangen. Aber aufgrund der Entwicklung Deutschlands, das bis dahin durch seine innere Spaltung gelähmt war, wird aus diesem bald der Schiedsrichter Europas werden (1851-1870).
Revolutionen und Kriege sind nicht neu in der Geschichte. Sie hindern die europäischen Nationen nicht daran, in der ganzen Welt einen sehr starken Einfluss auszuüben. Bis gegen 1890 besitzt Europa in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht eine unangefochtene Vormachtstellung. Noch zweifelt kein Geist in Europa daran, dass die Europäer dazu berufen seien, die Herren der Welt zu sein.
Allerdings entwickeln sich mit der Hilfe Europas auch andere Regionen: in Amerika, im pazifischen Raum, auf der Südhalbkugel (1850-1890).
Im Wettkampf mit diesen neuen Ländern spaltet sich Europa in Blöcke von rivalisierenden Ländern. Vergeblich sucht der internationalistisch gesinnte Sozialismus, die nationalistisch aufgehetzten Länder, durch das Proletariat zu einen. Europa wird von einem ersten Weltkrieg zerrissen, der seine Lebenskräfte schwächt (1890-1918).
Europa gibt sich weiter der Illusion hin, die Welt zu regieren. Die weltweite Krise von 1929 offenbart jedoch die Ohnmacht der Wirtschaft alten Typs. Neue Blöcke bilden sich, Europa löst sich auf. Vergebens stellt sich Hitler als Verteidiger Europas und dessen Kultur dar, in Wirklichkeit verschärft er die Spannungen nur noch, beschwört ein entsetzliches Gemetzel herauf und beschleunigt das Aufkommen der neuen Welten und ihrer Herrschaft über das alte, erschöpfte Europa (1919-1948).

Übersetzung: Isabelle Quillévéré