"Eine 'Gelehrtenrepublik' der Frauen?"

Kommentar

Das Dokument ist in das zweiseitige Unterkapitel: „Aufklärung: Freiheit und Gleichheit – auch für Frauen?“ eingebunden und stellt den letzten Beitrag in dem großen Themenabschnitt über den modernen Staat im Absolutismus und in der Aufklärung dar.

Der württembergische Theaterdirektor und Hofdichter Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) veröffentlichte den Artikel „Gelehrte Weiber“ in seiner literarischen Zeitung „Vaterlandschronik“ im ersten Halbjahr 1789. Darin kritisierte der Schriftsteller sich die seiner Ansicht nach „in ganz Europa“ in den Kreisen des Hochadels und des gehobenen Bürgertums ausbreitende weibliche „Gelehrsamkeit“. Sein Frauenbild entspricht der traditionellen Vorstellung über die Rolle der Frau als Gattin, Mutter und Haushälterin. Schubart verwendet den Europabegriff geographisch. Allerdings impliziert der Text noch einen weiteren europäischen Bezug, wenn der Autor feststellt, es habe diese Entwicklung überall in Europa im Zeitalter der Aufklärung gegeben, nämlich im öffentlichen Raum einer „Gelehrtenrepublik“.

Schubarts Vorstellung einer beratenden Öffentlichkeit ging auf die Antike zurück und wurde seit dem 15. und besonders im 18. Jahrhundert wieder aktuell. Die von den Aufklärern verwendete Lichtmetapher griff den Gedanken des „Europa der Vernunft“, eines von der Religion und vom Aberglauben allmählich emanzipierten Europa auf. Darin waren Frauen, rechtlich betrachtet, allerdings noch nicht emanzipiert. Mit Beginn der Frühen Neuzeit wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau zum Gegenstand heftiger Diskussionen. Sie blieb lange Vision. Alle Emanzipationsversuche im Hinblick auf ihre Rechts- oder Geschäftsfähigkeit scheiterten während der Französischen Revolution.

Diesen Aspekt des ungleichen Status von Frauen im 18. Jahrhundert machen die Schulbuchautoren zum Gegenstand ihrer Ausführungen, in die sie die Quelle einbinden. Tatsächlich stellte die Frauengelehrsamkeit durchaus einen Teil jener gesamteuropäischen Soziabilität der Gebildeten dar, die nicht näher ausgeführt wird. Diese fand noch nicht in einem universitären Bereich statt, denn die wissenschaftliche und berufliche Qualifikation blieb Frauen im Allgemeinen verwehrt. Die Schüler erfahren, dass Forderungen einer Anna Maria von Schurmann (1607-1678) und anderen nach gleichen Bildungschancen für Frauen, ihre Teilhabe an den Diskussionen um die Gleichberechtigung, ihre literarische Aktivitäten und ihre Rolle als Gastgeberinnen Literarischer Salons die Etablierung eines neuen Frauenbildes, das Schubart in seinem Artikel so vehement kritisiert, letztlich vorantrieben. Anfänge einer europäischen Öffentlichkeit zeigen sich also auch in der europaweit geführten Debatte um die Gleichberechtigung der Geschlechter, an der sich Schubart mit seinem Artikel beteiligte.

Ewa Anklam


Literatur:

Im Hof, Ulrich, Das Europa der Aufklärung, München 1993.

Jüttner, Siegfried, Europäische Aufklärung(en): Einheit und nationale Vielfalt, Hamburg 1992.

Kraul, Margret, Erziehung der Menschen-Geschlechter: Studien zur Religion, Sozialisation und Bildung in Europa seit der Aufklärung, Weinheim 1996.

Pingel, Falk, Geschichtsdidaktik/ Geschichtsmethodik, Geschichtsschulbücher und -unterricht vor und nach der Wende, in: Die Auswirkungen der Wiedervereinigung auf die Geschichts- und Sozialkundeerziehung: das deutsche Beispiel in koreanischer Perspektive : Konferenz; 2.- 6. Juli 2006 im Georg-Eckert-Institut in Braunschweig; (papers ... presented at the Second Asia-Europe Textbook Seminar organized by the Academy of Korean Studies and the Georg Eckert Institute for International Textbook Research at Braunschweig, Germany, July 3-6, 2006), Braunschweig 2009, S. 71-103.

Schleicher, Klaus; Bos, Wilfried (Hg.), Realisierung der Bildung in Europa: europäisches Bewußtsein trotz kultureller Identität?, Darmstadt 1994.

Lehrplan Gymnasium: Geschichte Klassen 5-12, Sächsisches Staatsministerium für Kultus 1991/1992.