"Jacob Fugger bei einer Besprechung mit seinem Hauptbuchhalter im Augsburger Kontor"

Kommentar

Der erste Band der Schulbuchreihe ‚Zeiten und Menschen’ ist für die Klasse 11 konzipiert und umfasst den Zeitraum von der Antike bis zur Französischen Revolution mit dem Schwerpunkt in der politischen, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Über die traditionelle schulische Wissensvermittlung hinaus behandelt das Autorenteam die kultur- und alltagsgeschichtlichen sowie landeskundlichen Themen. Das Wirken großer Persönlichkeiten der Geschichte wird in die Darstellung einbezogen.

Herausgegeben zur Zeit der politischen Entspannung in Europa (1971-1985), spiegelt die Geschichte dieses Bandes jene von intensiven Bildungsreformen geprägte Zeit wider. Die „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ und mit ihr die Einführung der Reformierten Oberstufe in der BRD wurde von der „Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder“ (KMK) 1972 beschlossen. Diese Reform galt ab dem Schuljahr 1976/77. Für dieses Jahr wurde das zweibändige Unterrichtswerk von Werner Grütter, damals unter dem Titel „Der geschichtliche Weg unserer Welt: bis 1776“, neu bearbeitet und für Rheinland-Pfalz und Hamburg empfohlen. Etwa ein Jahrzehnt später hat Grütter dieses Buch zusammen mit Wilhelm Borth in der ‚Neuen Ausgabe G’, diesmal dreiteilig angelegt, neu herausgegeben. Zugelassen in Rheinland-Pfalz und Brandenburg wurde der Band auch für Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und die Schweiz vorgesehen. Die vorliegende Ausgabe von 1985 ist dezidiert international angelegt, was nicht zuletzt in der Titeländerung „Die geschichtlichen Grundlagen Europas“ zum Ausdruck kommt. Gleich der erste Teil des Buchs beginnt mit der Beschreibung der „Kulturen der Mittelmeerwelt“. Letztere ist in den behandelten Epochen sehr präsent oder sogar deutlich hervorgehoben, was in den vor dem Krieg für Deutschland konzipierten Lehrwerken über das Mittelalter selten zu finden ist (z.B. Lorenz 1926).

Die Miniatur gibt eine Kontorszene wieder. Sie zeigt den berühmten Augsburger Großunternehmer Jacob Fugger den Reichen (1459-1525) und seinen Buchhalter Matthäus Schwarz (1497-1574) in der „Goldenen Schreibstube“ der Fugger (Fink 1963). Das Bild ist in den Absatz „Die Fugger: Familienbiographie eines Sozialaufstiegs“ eingebunden und dem Kapitel „Stadtregierung und Bürgerschaft“ bzw. dem Teil V. „Städtewesen und Territorialstaat“ zugeordnet. Es handelt sich bei dieser hier lediglich schwarz-weiß abgedruckten Abbildung um ein in den aktuelleren deutschen Geschichtsbüchern über das Mittelalter vielverwendetes Bild (u.a. bei Bahr, F. (Hg.): Horizonte I. Geschichte für die Oberstufe: Von der griechischen Antike bis zur Frühen Neuzeit, Braunschweig: Westermann 2006). Die Einbindung des Bildes in den Text zeigt bei Verzicht auf die Nennung seines Entstehungszusammenhangs die ‚Überziehung’ des regionalen bzw. nationalen Kontextes mit der internationalen Aussage: Erneut werden die Spuren bis in die Mittelmeerwelt gelegt.

Die Miniatur war eine Auftragsarbeit. Angefertigt von dem Augsburger Buchmaler Narziß Renner (um 1501-1536) für das von Buchhalter Schwarz 1520 angelegte Trachtenbuch, verdeutlicht sie die neue Wirtschaftsgesinnung, die diese Epoche des Umbruchs kennzeichnete, in der Bank- und Kreditgeschäfte sowie Fernhandel betrieben wurden. Der Handel wurde nicht mehr, wie noch im 12. Jahrhundert, vor allem zwischen Morgenland und Abendland über die Seestädte Italiens abgewickelt, sondern hatte den gesamten Kontinent überzogen. Bekannterweise unterhielten die aus Augsburg stammenden Fugger Beziehungen zu den wichtigsten Herrschern Europas und verfügten über ein dichtes Netz aus Niederlassungen. Auf dem Bild sind nicht nur die beiden Kaufleute zentral dargestellt, sondern ebenso die Schubladen in ihrem Rücken prominent gemacht. Auf ihnen werden die Namen der wichtigsten Niederlassungen, so neben Lissabon im Westen, Krakau und Ofen (Buda) im Osten, auch Rom, Venedig und Mailand im mitteleuropäischen Raum präsentiert.

Im Text nehmen die Autoren diesen ‚gesamteuropäischen’ Grundgedanken auf. Die Fugger hätten ihr „Geldgeschäft“ am Mittelmeer erlernt, in Rom und Venedig, dort also, wo der „europäische Orienthandel“ seit den Kreuzzügen florierte. Als großer Konzern unter Jacob Fugger II. beteiligten sie sich u.a. am Seidenhandel mit Italien. Die Einbindung des Bildes in den Text verdeutlicht die Kernaussage dieser Unterrichtseinheit: Es geht um die Verlagerung der Fernhandelwege in den Norden Europas und damit um den wirtschaftlichen Aufschwung des Kontinents. Auf dieser Entwicklung baute die Renaissancekultur auf, die schließlich den Durchbruch bürgerlichen Lebensgefühls brachte. Die Repräsentation dieses neuen bürgerlichen Lebensgefühls ist das eigentliche Thema der hier vorgestellten Miniatur, was aber von dem Autorenteam unberücksichtigt bleibt. Das Bild war eine der 131 kolorierten Abbildungen in dem Trachtenbuch von Schwarz. Es ist der Buchhalter der Fugger gegenüber am Schreibtisch sitzend in seiner Tätigkeit, die im Bild zentrale Stellung einnimmt. Damit steht seine Funktion im Speziellen und das Miniaturbild im Allgemeinen stellvertretend für das Geltungsbedürfnis dieses oberdeutschen Kaufmanns (Denzel 2002).

Die Unterrichtseinheit über die Fugger stellt ein Stück Sozialgeschichte dar. Darin bilden, wie auch an auffallend vielen anderen Stellen im Schulbuch, nicht mehr die Ereignisse den Leitfaden der Erzählung, sondern soziale Entwicklungen sowie miteinander verkehrende und Austausch treibende Menschen. Anders als in der berühmten ‚historischen Ökologie’ zum Mittelmeer des Renaissance-Polyhistors Fernand Braudel, in dem das Mittelmeer als „historische Hauptperson“ dargestellt ist (Journal Geschichte 3/1988), sind es in dieser Geschichtsauffassung die Menschen, die handeln, so Händler und Kaufleute. Letztere waren eine der für das moderne Europa wichtigsten konstituierenden Personengruppen. Ihre Mitwirkung an der Erschließung des geopolitischen Raums ‚Europa’ wird von den Schulbuchautoren herausgestellt. Und deshalb reicht, hier mit Braudel allerdings übereinstimmend, das Mittelmeer über jenes vielverzweigte, internationale Kommunikationsnetz bis zu den Märkten vor der Atlantikküste, schließt den Osten und den Westen Europas mit ein. Es sind nicht mehr zwei getrennte Räume, wie noch im Buch von Karl Lorenz (1926), sondern ein wirtschaftlicher Großraum, in dem die Menschen „im Namen Gottes und des Profits“ die Schwelle der Neuzeit betreten und die „Grundlagen Europas“ ausmachen.

Ewa Anklam

Literatur:

Braudel, Fernand, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Phillips II., Frankfurt/M. 2001 (1. Aufl. Paris 1949).

Denzel, Markus A., Professionalisierung und sozialer Aufstieg bei oberdeutschen Kaufleuten und Faktoren im 16. Jh., in: Schulz, Günther (Hg.), Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, München 2002, S. 413-442.

Fink, August, Die Schwarzschen Trachtenbücher, Berlin 1963.

Raulff, U., Das Mittelmeer als historische Hauptperson, in: Journal Geschichte 3 (1988), S. 28-35.